Teil 16: Von den Shaolin-Mönchen lernen

Die Verantwortung für sich selbst ist die Wurzel jeder Verantwortung. (Meng Tse)

Realitäten akzeptieren, unangenehme Wahrheiten adressieren, harte Entscheidungen schnell treffen und konsequent umsetzen sowie notwendige Konflikte in Kauf nehmen ist Teil unserer Aufgabe. Gleichzeitig ist es unabdingbar, Ruhe auszustrahlen, Orientierung und Sicherheit zu vermitteln. Und zudem haben alle Beteiligten einen Anspruch auf Ehrlichkeit, Empathie und eine wertschätzende Kommunikation.

Die Kung-Fu-Mönche des Shaolin-Klosters können bei der Bewältigung dieser Herausforderungen als Vorbild dienen. Sie beherrschen die Kampfkünste auf einem sehr hohen Niveau, verfügen über unglaubliche körperliche und mentale Fähigkeiten. Gleichzeitig sind sie ausgeglichen, souverän und empathisch.

Ihr Geheimnis ist ihre Sicht auf die Dinge: Sie wissen um die Unwahrscheinlichkeit, in ihrem Kampfsport zur absoluten Perfektion zu gelangen. Ihr Ziel ist es daher, jeden Tag aufs Neue das Bestmögliche zu erreichen. Mit dieser Einstellung gelingt es, das tägliche harte Training voller Energie und mit vollem Einsatz zu absolvieren und gleichzeitig jeden Abend mit dem abgelaufenen Tag zufrieden zu sein. Lautete ihr Ziel hingegen, zum besten Kung-Fu-Kämpfer ihrer Generation zu werden, wären Unzufriedenheit und Frustration die unvermeidbare Folge. Denn dieses Ziel läge bestenfalls weit in der Zukunft. Und nur einer kann der Beste sein.

Mit der Einstellung der Kampfmönche kann es auch uns gelingen, dynamische Herausforderungen bestmöglich zu meistern. Volle Leidenschaft und Einsatz bei dem, was wir tun, ohne uns emotional von dem Ergebnis abhängig zu machen. Ein schwieriger Spagat, aber ein zentraler Baustein für Zufriedenheit, Ausgeglichenheit und mentale Gesundheit.

Wir sollten versuchen, die Dinge leichter zu nehmen und die Bedeutung der eigenen Tätigkeit nüchtern zu betrachten. Eine gute Übung ist es, aus der Vogelperspektive oder aus der Perspektive künftiger Generationen auf unser Tun zu schauen. Alles relativiert sich, ohne dass es dadurch an Wert verliert. Selbst die Bedeutung von Menschen, die zu ihrer Zeit einmal sehr bedeutend waren, verliert sich über die Zeit. Kaum jemand, der sich an alle Bundeskanzler und Bundespräsidenten unserer Republik erinnert, von ehemals prominenten Vorständen oder Unternehmern ganz zu schweigen.

Teil 15: Die Grenzen von Kompromissen

Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut. (Laotse)

Bei der Lösung von Schwierigkeiten Im Konsens handeln, die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen, ist immer erstrebenswert. Leider allerdings nicht immer zielführend. Durch ungenügendes oder verspätetes Handeln werden aus kleinen Bränden oft schwer kontrollierbare Großfeuer.

„Kompromisse mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner“ verschieben Probleme in die Zukunft, führen zu einer trügerischen Sicherheit und reduzieren die Bereitschaft zu Handeln weiter.

Besonders Eigentümer, Manager oder Arbeitnehmer von lange erfolgreichen Unternehmen können sich oft nicht vorstellen, dass sich die positiven Ergebnisse der Vergangenheit nicht problemlos in die Zukunft fortschreiben lassen. Grundlegende Änderungen kommen für sie nicht in Frage, maximal sind kosmetische Anpassungen akzeptabel.

Der Verbrauch über Jahre aufgebauter Substanz überdeckt die Verschlechterung der Ergebnisse. Notwendige einschneidende Maßnahmen unterbleiben. Die sukzessive Verschlechterung der Situation wird zum akzeptierten Normalzustand. Wird dann der Tipping Point erreicht, zeigen sich die negativen – manchmal unumkehrbaren - Auswirkungen des Nichthandelns schlagartig.

Der Produktionsstandort einer international tätigen Unternehmensgruppe erzielte erhebliche Verluste. Die Versuche, die strukturellen Probleme auf dem Verhandlungsweg zu lösen, zogen sich über Jahre hin. Die schrittweise erzielten marginalen Verbesserungen waren bei weitem nicht ausreichend. Allerdings dienten sie als Begründung für Kapitalzuschüsse anderer Gruppengesellschaften: „Man ist ja auf einem guten Weg“. Zudem wurden andere Gesellschaften durch die Verlagerung von Teilen der Produktion an den defizitären Standort geschwächt. Eine harte Sanierung und die damit verbundenen Probleme sollten um jeden Preis vermieden werden.

Der Standort erwies sich als schwarzes Loch, in dem ein wesentlicher Teil der verfügbaren Liquidität verschwand. Die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Gruppe verschlechterte sich zunehmend. Letztendlich musste man das Scheitern der langandauernden Bemühungen um einen tragfähigen Kompromiss akzeptieren. Der Standort wurde geschlossen. Für eine Sanierung war es zu spät. Die erforderliche Liquidität war nicht mehr verfügbar.

Sogar die Unternehmensgruppe als Ganzes drohte in dem Strudel unterzugehen. Die Produktion war neu zu strukturieren, die Lieferketten mussten umgebaut und um externe Lieferanten erweitert werden. Unterbliebene Innovationen waren nachzuholen. Das Vertrauen der Kunden war neu zu gewinnen, Banken von der Zukunftsfähigkeit zu überzeugen. Letztendlich gelang die Rettung nur durch eine erhebliche Kapitalspritze des Eigentümers.

Teil 14: Die Gunst des Schicksals nutzen

Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende. (Demokrit von Abdera)

Bei der Beurteilung von Leistungen fokussieren wir uns gerne auf das Ergebnis und nur selten auf den Weg. Diese Art von Beurteilung kann zu gefährlichen Fehleinschätzungen führen. Denn wir sind immer von Ereignissen, Akteuren und Konstellationen abhängig sind, die wir oft wenig oder gar nicht beeinflussen können.

Wem würden Sie eine schwierige Aufgabe eher anvertrauen? Demjenigen, der sein Handwerk halbwegs beherrscht, nur bedingt gewissenhaft und engagiert arbeitet, aber bei seinem letzten Projekt von glücklichen Umständen begünstigt ein großartiges Ergebnis erzielt hat? Oder demjenigen, der sein Handwerk beherrscht, sich bedingungslos engagiert und gewissenhaft arbeitet, dem aber zuletzt widrige Umstände den Erfolg verwehrt haben?

Bei der Neuaufstellung eines Unternehmens hatten wir vieles richtig gemacht: Verlustreiche Aktivitäten eingestellt, Kosten reduziert, Liquidität gesichert. Klar war allerdings: Ohne den Verkauf einer großen Unternehmensbeteiligung wären alle Bemühungen vergebens gewesen. Die aus der Transaktion zufließende Liquidität war überlebensnotwendig.

Während wir auf die Verlesung des Vertrags durch den Notar warteten, erreichte uns die Hiobsbotschaft: Eine dringend benötigte behördliche Genehmigung wurde überraschend verweigert. In wesentlichen Punkten musste nachgebessert werden, wodurch sich die Wirtschaftlichkeit verschlechterte. Der CFO des Käufers zog sich zurück, um sich mit seinen Kollegen zu besprechen. Nach einer Stunde kam er zurück und wollte nachverhandeln, was wir ablehnten. Wir wussten, wenn der Vertrag heute nicht unterschrieben werden würde, käme es zu monatelangen Verhandlungen, die wir finanziell nicht überlebt hätte. Unser Gegenüber telefonierte nochmals mit seinen Kollegen. Dann fiel die Entscheidung. Der Notar verlas den Vertrag und wir unterschrieben.

Wir erhielten für die Sanierung des Unternehmens viel Anerkennung. Und wir waren stolz auf unsere Arbeit. Wir sind die Herausforderungen zielstrebig angegangen, haben uns nicht entmutigen lassen, haben gute Entscheidungen getroffen und konsequent umgesetzt.

Aber ohne den Abschluss dieses Kaufvertrags wären wir gescheitert. Wäre die Qualität unserer Arbeit in diesem Fall schlechter gewesen? Auf keinen Fall. Wäre das Ergebnis schlechter gewesen? Katastrophal schlechter. Und der Abschluss des Kaufvertrags war ein Ereignis, das letztlich nicht in unserem Einflussbereich lag.

Teil 13: Erfolge feiern

Nichts genügt dem, für den genug zu wenig ist. (Epikur)

In Umbruchsituationen und Krisen ist eine Vielzahl herausfordernder Schwierigkeiten gleichzeitig zu bewältigen. Für jedes gelöste Problem tauchen sofort mindestens zwei ungelöste auf. Die Aufgabenliste wird immer länger. Nach einer gewissen Zeit beschleicht einen das Gefühl, in einem Hamsterrad gefangen zu sein. Die Stimmung droht ins Negative abzugleiten. Manchmal fühlt man sich geradezu paralysiert.

Oft gelingt es, diesen Teufelskreis mit kleinen Verhaltensänderungen zu durchbrechen:

Sorgen Sie für eine gute Stimmung. Nur so entsteht die nötige Kraft für die zukünftigen Aufgaben. Für viele Mitarbeiter sind wir als Führungskräfte der Fels in der Brandung. Ob wir das immer sein können, sei dahingestellt. Aber unsere Mitarbeiter beobachten uns ständig mit einer klaren Erwartungshaltung. Unsere positive Energie und unser Optimismus können manchmal wahre Wunder bewirken. Und das ist oft schon die „halbe Miete“.

Nach der Bewältigung einer Krise gilt es, mit allen Beteiligten den erfolgreichen Abschluss der herausfordernden Zeit angemessen zu feiern, was leider nur allzu oft vergessen wird. Eine solche Veranstaltung ermöglicht das gemeinsame Abschließen mit der Vergangenheit und macht die Köpfe für die zukünftige Ausrichtung frei. Zudem sollte unbedingt der Dank für die geleistete Arbeit wertschätzend ausgesprochen werden.

Das Ende der Krise markiert gleichzeitig den Beginn einer neuen Phase. Alle offenen Punkte sind abzuarbeiten, alle nicht „rund laufenden“ Prozesse und Abläufe müssen kontinuierlich verbessert werden. Denn erst daran zeigt sich wirklich, ob und was wir aus der Krise gelernt haben.

Teil 12: Den Neustart vorbereiten

Alles fließt. Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben Fluss. (Heraklit)

Sich Klarheit über den Status Quo und die wesentlichen Ursachen einer Krise zu verschaffen ist der erste Schritt zu ihrer Bewältigung. Von der Marktfähigkeit der Produkte oder Dienstleistungen über die Produktionsprozesse bis hin zu den Distributionskanälen ist jeder Teil des Geschäftsmodells kritisch zu hinterfragen.

Im Mittelpunkt der Überlegungen steht das „neu zu schaffende Unternehmen“. Wie sollen der neue Business Case und der neue Businessplan aussehen? Der Einsatz von standardisierten analytischen Verfahren – bspw. der „Business Modell Innovation“ – kann dabei wertvolle Dienste leisten. Denn eines ist klar: Ohne ein klar definiertes Ziel, führt jeder Weg in die Irre.

Im Rahmen der Restrukturierung in einer Insolvenz übertrugen wir einen Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten auf ein neu gegründetes Unternehmen, eine sogenannte „übertragende Sanierung“. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, uns von Verbindlichkeiten zu befreien und konnten bestehende Verträge kündigen. Auch nutzten wir den bei Neugestaltung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen bestehenden größeren Gestaltungsspielraum. Die auf maximal drei Monate begrenzte Übernahme der Lohn- und Gehaltskosten durch die Bundesagentur für Arbeit verschaffte uns die Möglichkeit, Liquidität aufzubauen und Zeit, die notwendigen Anpassungen am Geschäftsmodell vorzunehmen.

Neben der Beseitigung der Krisenursachen bauten wir gleichzeitig die neue Gesellschaft auf. Sie musste sofort handlungsfähig sein. Wir definierten die Organisationsstrukturen, Verantwortlichkeiten und Prozesse und setzten sie um. Denn was nützt es, wenn die Kosten reduziert wurden, aber kein funktionierendes IT-System zur Abarbeitung der neuen Kundenaufträge vorhanden ist.

Die Aufrechterhaltung des Kundenkontakts ist eine weitere Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Neubeginn. Auch wenn es in der Insolvenz schwerfällt, neue Aufträge zu gewinnen, darf die intensive Kommunikation mit den Kunden niemals abreißen. Wir konnten glaubhaft vermitteln, dass am Ende des eingeschlagenen Wegs ein gesundes und zukunftsfähiges Unternehmen stehen würde. Durch eine transparente und zeitnahe Kommunikation gelang es uns in vielen Fällen neues Vertrauen aufzubauen. Und das zahlte sich aus: Nach der Insolvenz verbesserte sich die Auftragslage erstaunlich schnell.

Teil 11: Wissen ist nicht genug, Konsequenz ist entscheidend

Wissen wird durch Lernen errungen. Verhalten durch Training erworben.
(Aus dem Shaolin-Qi Gong)

Beim „Managen von Umbrüchen“ gibt es praxiserprobte Grundsätze, die die Erfolgsaussichten erhöhen: Realitäten akzeptieren, den richtigen Fokus setzen, unangenehme Wahrheiten adressieren sowie Entscheidungen mutig treffen und konsequent umsetzen.

Diesen Prinzipien können sicherlich die meisten ohne weiteres zustimmen. Sie klingen selbstverständlich, fast banal. Wir wissen in der Regel genau, wie wir handeln sollten. Obwohl uns beispielsweise natürlich bewußt ist, dass wir uns den Realitäten stellen müssen, tun wir uns damit aber oft schwer. Bei vielen Krisen sind den Verantwortlichen die zugrundeliegenden Ursachen seit langem bekannt. Die Bereitschaft und der Mut, sich zeitnah den Tatsachen zu stellen und konsequent zu handeln fehlt hingegen teilweise.

Konsequenz kommt nicht von selbst. Wie alle Verhaltensweisen müssen wir sie erlernen und einüben. Im ersten Moment klingt das abstrakt und theoretisch. Wer aber genau hinschaut, erkennt, dass uns diese Vorgehensweise durchaus vertraut ist. Als Kinder haben wir am liebsten mit den Händen gegessen. Heute essen wir selbstverständlich mit Besteck. Unsere Eltern oder Großeltern haben uns so lange ermahnt, bis uns die Verhaltensweisen in Fleisch und Blut übergegangen sind.

Als Erwachsene sind wir für unsere Weiterentwicklung selbst verantwortlich. Jeder sollte die für sich richtige Technik finden, um die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit sowie das damit verbundene Verbesserungspotential zu erkennen: Abends den abgelaufenen Tag kritisch Revue passieren lassen, sich morgens bei einem Spaziergang auf die kommenden Herausforderungen einstimmen, ein Tagebuch führen oder durch Meditation wichtige Verhaltensmuster verinnerlichen.

Der römischen Kaiser Marcus Aurelius musste viele Herausforderungen – Kriege, Verrat und eine verheerende Pandemie – bewältigen. Dies gelang ihm in so beeindruckender Weise, das er bis heute als vorbildlicher  Herrscher geachtet wird:  aufrichtig, bescheiden, kooperativ, geduldig, fürsorglich, mutig, ruhig, standhaft, versöhnlich und gerecht. 

Grundlage seiner geistigen Klarheit und seines konsequenten Handels war die stoische Philosophie. Die Fähigkeiten sind ihm nicht zugefallen. Er übte sie ein ganzes Leben lang ein. In seinem letzten Lebensjahrzehnt schrieb er die entscheidenden Prinzipien auf, um sie zu verinnerlichen, zu verstärken und konsequent praktizieren zu können. Wir können von seinen zwischenzeitlich als Buch veröffentlichten „Selbstbetrachtungen“ noch heute lernen.

Teil 10: Fristen setzen

Niemals meistert man eine gefährliche Situation ohne Gefahr. (Publilius Syrus)

Die Verbesserung einer Gesamtsituation ist oft nur möglich, wenn sich alle Beteiligten über die ihnen andernfalls drohenden negativen Konsequenzen im Klaren sind. Mitarbeiter sind erst zu einen Gehaltsverzicht bereit, wenn die Alternative der Verlust des Arbeitsplatzes ist. Banken verzichten erst auf einen Teil der ausgereichten Darlehen, wenn die Alternative ein Totalverlust ist. Ohne ein Worst-Case-Szenario ist es oft nicht möglich, Verhandlungen mit einem akzeptablen Ergebnis zu beenden.

Dies ist nur allzu menschlich. Bei der Überwindung einer Krise werden vielen Beteiligten Opfer abverlangt. Jeder befürchtet, sich im Vergleich zu den anderen Beteiligten zu verschlechtern, übervorteilt zu werden. Und alle können valide Argumente für ihre Position ins Feld führen. Eine von allen gleichermaßen als fair empfundene Lösung kann es nur in den seltensten Fällen geben.

Auch neigen wir dazu, schwierige Entscheidungen erst dann zu treffen, wenn sie unaufschiebbar geworden sind. Wir versuchen die endgültige Gewissheit über den eigenen Verlust möglichst lange hinauszuschieben. Manchmal reicht es daher nicht, lediglich ein Schreckensszenario aufzuzeigen. Um zu einer Einigung zu gelangen, sind oftmals nicht diskutierbare Fristen erforderlich.

Das Überleben einer Reederei hing von einer Einigung mit den finanzierenden Banken ab. Wir konnten überzeugend darlegen, dass ein ungeordnetes Auseinanderbrechen des Unternehmens für alle Beteiligten einen unverhältnismäßig hohen Schaden verursachen würde. Ein Sanierungsgutachten eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers kam zu dem gleichen Ergebnis. Trotzdem zogen sich die Kreditgespräche lange hin und kamen letztendlich faktisch zum Erliegen. Jede Bank befürchtete im Vergleich zu den anderen Instituten ein unverhältnismäßig hohes Opfer erbringen zu müssen.

Niemand wollte eine Insolvenz, aber alle befanden sich in einer Art Schockstarre. Erst als wir alle Zahlungen einstellten und den Termin für die Anmeldung der Insolvenz kommunizierten, kam wieder Bewegung in die Verhandlungen. Die zur Verfügung stehende Zeit wurde vollständig ausgenutzt. Die Unterschriften unter die notwendigen Dokumente erfolgten erst wenige Stunden vor dem avisierten Termin der Insolvenzanmeldung.

Fristen sind das wirkungsvollste und leider oft das einzige Instrument, um der Tendenz entgegenzuwirken, Entscheidungen aufzuschieben. Schwierige Entscheidungen werden in aller Regel erst getroffen, wenn sie unausweichlich sind.

Teil 9: Mutig Entscheidungen treffen und umsetzen

Plane das Schwierige, wo es noch leicht ist. Tue das Große, wo ist noch klein ist. (Laotse)

Handeln unter Unsicherheit und Risiken widerstrebt der menschlichen Natur. Am liebsten würden wir vergessen, dass das Eingehen von Risiken oft die einzige Möglichkeit ist, in einer sich verändernden Welt zu bestehen. Wir schrecken vor dem Unbekannten und möglichen Fehlern zurück.

Gute Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, heißt sich der damit verbundenen Befürchtungen oder Ängste bewusst zu werden, sich ihnen zu stellen und sie zu beherrschen. Je weitreichender eine Entscheidung ist, desto weniger wissen wir, ob alle relevanten Informationen vorliegen und ob wir sie richtig interpretiert haben. Die Komplexität der Entscheidungsfindung darf uns nicht verunsichern. Agieren unter partieller Unwissenheit ist für Menschen in Verantwortungspositionen unvermeidbar, auch wenn es sich nicht gut anfühlt.

In der Krise müssen Entscheidungen schneller getroffen werden, besser durchdacht sein und klarer ausfallen. Zeit ist der kritische Faktor. Der Handlungsspielraum ist begrenzt und verengt sich bei jedem Zögern weiter.

Ein Projektentwickler verfügte über zahlreiche attraktive Grundstücke. Allerdings war seine Kostenstruktur deutlich zu hoch. Das Management hatte zwei Optionen: eine deutliche Reduktion der Kosten oder die Fusion mit einem Konkurrenten. Das „Nichthandeln“ der Verantwortlichen führte zu einer Abwärtsspirale: Mitarbeiter verloren das Vertrauen und kündigten, Geschäftspartner zogen sich zurück, Finanzierungsquellen versiegten. Letztendlich mussten wir die Gesellschaft abwickeln. Das für eine Sanierung zur Verfügung stehende Zeitfenster hatte sich geschlossen.

Notwendige Entscheidungen fundiert und rechtzeitig zu treffen und umzusetzen, gibt allen Beteiligten Orientierung und Sicherheit. Nur durch Führungsstärke bewahrt man die Handlungsfähigkeit und kann komplexe Schwierigkeiten bewältigen.

Besonderen Mut benötigt man für Entscheidungen, die von der Mehrheitsmeinung abweichen. Die daraus resultierenden Chancen sind im Gegenzug entsprechend hoch.

Während einer Finanzkrise erwarben Investoren ein großes Immobilienportfolio. Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten war der erzielte Kaufpreis sehr vorteilhaft. Die nächsten Jahre waren nicht einfach. Insbesondere die Refinanzierung stellte uns vor große Herausforderungen. Ein Scheitern war möglich. Sobald sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wieder verbessert hatten, konnten wir jedoch erhebliche Wertsteigerungen realisieren.

Teil 8: Den richtigen Fokus setzen

Wer am falschen Faden arbeitet, zerstört das ganze Gewebe. (Konfuzius)

Die Gründe für eine Fehlentwicklung sind vielschichtig. Die eine entscheidende Ursache existiert fast nie. Wichtig ist, die zentralen Herausforderungen zu identifizieren und sich auf diese zu fokussieren.  

Obwohl zahlreiche analytische Verfahren zur kritischen Hinterfragung und gegebenenfalls Neuausrichtung von Geschäftsmodellen existieren, verengt sich der Fokus oft vorschnell auf eine Reduzierung der Kosten. Zwar lassen sich insbesondere bei den Personalkosten schnell vermeintliche Erfolge erzielen. Das kann allerdings unter Umständen sogar wertvernichtend sein, etwa wenn externe Dienstleister die bisher intern erbrachten Leistungen zu höheren Kosten übernehmen.

Unsere Kräfte und Ressourcen sind beschränkt: Wir erreichen unsere Ziele nur, wenn wir uns auf die wichtigsten Herausforderungen fokussieren und diese schnellstmöglich lösen. Manchmal ist es unausweichlich, Verzögerungen oder sogar Fehlentwicklungen in einem Bereich zu akzeptieren, um übergeordnete Ziele zu erreichen. Zwar kann aktionistische Betriebsamkeit die Nerven beruhigen, wenn der Schreibtisch überquillt. Man sollte aber nicht der Gefahr erliegen, Bewegung mit Fortschritt zu verwechseln.

Wir müssen daher wissen, worüber wir nicht nachdenken sollten, was wir ignorieren können. Im Zeitalter der unbegrenzt zugänglichen Informationen ist diese Fähigkeit unersetzlich.

Bei der Abspaltung des Unternehmensbereichs einer börsennotierten Gesellschaft wurde die Zeit knapp. Zehn Wochen vor der Transaktion war die Liste der abzuarbeitenden Aufgaben noch lang: die Einstellung von Mitarbeitern, um die bisher von der Muttergesellschaft wahrgenommenen Holdingfunktionen zu übernehmen, die Adaption der IT-Landschaft an die erweiterten Aufgaben und die Erfüllung der durch die Ausgliederung geänderten regulatorischen Rahmenbedingungen. Zudem waren eine Akquisition zu integrieren und in einem wichtigen Geschäftsbereich Kostenreduzierungen zu planen und umzusetzen.  


Von Anfang an stürzte eine Vielzahl von Informationen auf uns ein. Alles schien wichtig. Alles schien dringend. Uns wurde schnell klar, dass wir klare Prioritäten setzen mussten. Wir verfügten nicht über die erforderlichen Ressourcen, um uns alles zu kümmern. Daher konzentrierten wir uns auf die beiden wichtigsten Herausforderungen: die Durchführung der Ausgliederung und die Einstellung der erforderlichen Mitarbeiter. Die anderen Probleme mussten warten. Das war unbefriedigend, aber wir hatten keine andere Wahl. Erst nach der Komplettierung des Teams konnten wir uns den liegengebliebenen Herausforderungen widmen.

Teil 7: Fairer Umgang mit Menschen

Wenn du von den anderen Verantwortung verlangst, übernehme auch für dich deine eigene. (Solon von Athen)

Einschneidende Maßnahmen umzusetzen und gleichzeitig fair mit allen Beteiligten umzugehen, ist ein schwieriger Spagat. Je größer die persönlichen Konsequenzen für Einzelne sind und je ungerechter die erforderlichen Maßnahmen empfunden werden, desto höher sind die Anforderungen an uns als Führungskräfte. Wir sind auf zwei Ebenen gefordert: Einerseits die wirtschaftlichen Auswirkungen der Betroffenen - soweit es in unserer Macht steht - zu minimieren und andererseits wertschätzend zu kommunizieren. Selbst dann, wenn wir unsachlich angegangen werden. 

Bei einer Sanierung eines großen mittelständischen Unternehmens traf die erforderliche Reduzierung der Kosten die Arbeitnehmer überproportional: ungefähr die Hälfte der Mitarbeiter mussten das Unternehmen verlassen. Leider gelang es nicht mit allen Geschäftspartnern alle Verträge mit besseren Konditionen neu zu verhandeln.

Bei Licht betrachtet, war es allerdings gelungen, die Hälfte der Arbeitsplätze zu erhalten und eine vollständige Abwicklung des Unternehmens zu verhindern. Trotzdem war die Enttäuschung und die Frustration der Mitarbeiter über den Verlust der Arbeitsplätze, aber auch die ungleiche Lastenverteilung naturgemäß groß.  Wir konnten zwar den teilweisen Verlust der Arbeitsplätze nicht verhindern, aber zwei Dinge konnten wir tun.

Wir gründeten eine Qualifizierung- und Transfergesellschaft. Diese bot den ausscheidenden Mitarbeitern Qualifizierungsmaßnahmen an und zahlte ein - wenn auch reduziertes - Gehalt für ein Jahr. Niemand wurde unmittelbar arbeitslos. Die Finanzierung erfolgte teilweise durch einen Sanierungsbeitrag des Eigentümers.

Zudem kommunizierten wir zeitnah, umfassend und wertschätzend. Auf vielen Betriebsversammlungen und in Gesprächen mit dem Betriebsrat stellten wir die wirtschaftliche Situation und die absolute Notwendigkeit der einschneidenden Maßnahmen dar. Wir betonten, dass die Mitarbeiter für die Krise in keiner Weise verantwortlich sind und versuchten, ihnen Mut für die Zukunft zu machen.

Die Trennung von Mitarbeitern führt auch bei der verbleibenden Belegschaft zu Verunsicherung und Misstrauen. Je fairer die Vorgehensweise ist, desto schneller verheilen die Wunden. Die Erfolgsaussichten die Krise schnell hinter sich zu lassen, verbessern sich deutlich.

Ein unfairer und rücksichtsloser Umgang mit Menschen ist nie akzeptabel. Empathie und Ehrlichkeit kommt in Krisen eine wichtige Bedeutung zu.