Teil 11: Via Negativa
Niemals meistert man eine gefährliche Situation ohne Gefahr. (Publilius Syrus)
Die Verbesserung einer Gesamtsituation ist oft nur möglich, wenn sich alle Beteiligten über die ihnen andernfalls drohenden negativen Konsequenzen im Klaren sind. Mitarbeiter sind erst zu einen Gehaltsverzicht bereit, wenn die Alternative der Verlust des Arbeitsplatzes ist. Banken verzichten erst auf einen Teil der ausgereichten Darlehen, wenn die Alternative ein Totalverlust ist. Ohne ein Worst-Case-Szenario ist es oft nicht möglich, Verhandlungen mit einem akzeptablen Ergebnis zu beenden.
Dies ist nur allzu menschlich. Bei der Überwindung einer Krise werden vielen Beteiligten Opfer abverlangt. Jeder befürchtet, sich im Vergleich zu den anderen Beteiligten zu verschlechtern, übervorteilt zu werden. Und alle können valide Argumente für ihre Position ins Feld führen. Eine von allen gleichermaßen als fair empfundene Lösung kann es nur in den seltensten Fällen geben.
Auch neigen wir dazu, schwierige Entscheidungen erst dann zu treffen, wenn sie unaufschiebbar geworden sind. Wir versuchen die endgültige Gewissheit über den eigenen Verlust möglichst lange hinauszuschieben. Manchmal reicht es daher nicht, lediglich ein Schreckensszenario aufzuzeigen. Um zu einer Einigung zu gelangen, sind oftmals nicht diskutierbare Fristen erforderlich.
Das Überleben einer Reederei hing von einer Einigung mit den finanzierenden Banken ab. Wir konnten überzeugend darlegen, dass ein ungeordnetes Auseinanderbrechen des Unternehmens für alle Beteiligten einen unverhältnismäßig hohen Schaden verursachen würde. Ein Sanierungsgutachten eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers kam zu dem gleichen Ergebnis. Trotzdem zogen sich die Kreditgespräche lange hin und kamen letztendlich faktisch zum Erliegen. Jede Bank befürchtete im Vergleich zu den anderen Instituten ein unverhältnismäßig hohes Opfer erbringen zu müssen.
Niemand wollte eine Insolvenz, aber alle befanden sich in einer Art Schockstarre. Erst als wir alle Zahlungen einstellten und den Termin für die Anmeldung der Insolvenz kommunizierten, kam wieder Bewegung in die Verhandlungen. Die zur Verfügung stehende Zeit wurde vollständig ausgenutzt. Die Unterschriften unter die notwendigen Dokumente erfolgten erst wenige Stunden vor dem avisierten Termin der Insolvenzanmeldung.
Fristen sind das wirkungsvollste und leider oft das einzige Instrument, um der Tendenz entgegenzuwirken, Entscheidungen aufzuschieben. Schwierige Entscheidungen werden in aller Regel erst getroffen, wenn sie unausweichlich sind.