Teil 11: Via Negativa
Sei wie ein Fels, an dem sich beständig die Wellen brechen. (Marc Aurel)
Bereits unter normalen Bedingungen ist Führung eine überaus herausfordernde Aufgabe. In komplexen Situationen erhöhen sich die Anforderungen nochmals deutlich.
Entscheidend ist die Fähigkeit, Ruhe auszustrahlen, Orientierung und Sicherheit zu vermitteln. Ehrlichkeit ist eine Grundvoraussetzung: nie falsche Versprechungen geben. Vertrauen, Wertschätzung und Loyalität sind keine Einbahnstraße. Sie sind vielmehr die Basis zur Bewältigung großer Herausforderungen.
Der Fähigkeit, in dynamischen Situationen unter Ungewissheit schnell fundierte Entscheidungen zu treffen, kommt eine zentrale Bedeutung zu. Ohne das große Ganze aus dem Auge zu verlieren, stets auf den gerade aktuellen Teilschritt fokussieren.
Wir waren für die Abwicklung einer Unternehmensgruppe verantwortlich. Einige Aktivitäten konnten wir veräußern, andere Bereiche mussten wir schließen. Eine bedrückende Situation: Keiner der Mitarbeiter hatte in dem Unternehmen eine Zukunft. Allerdings wurden sie noch einige Monate dringend gebraucht. Bei der Veräußerung des größten Unternehmensbereichs vergingen zwischen Abschluss des Verkaufsvertrags und dessen rechtlicher Wirksamkeit mehrere Monate.
Die Konsequenzen waren klar: Bei einem zu frühen Ausscheiden der Mitarbeiter wären wir gezwungen gewesen, externe Berater und Dienstleister mit der Erledigung der verbleibenden Aufgaben und der Abwicklung der Transaktion zu beauftragen. Aufgrund der notwendigen Einarbeitungszeit und hoher Tagessätze wären erhebliche zusätzliche Kosten entstanden.
Die Angst vieler Mitarbeiter um ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage war nur zu verständlich. Daher sorgten wir zeitnah durch klare vertragliche Regelungen für Planungssicherheit und monetäre Anreize: Bleibeprämien für den Übergang, Erfolgsboni und Abfindungen. Der Beendigungszeitpunkt der Anstellungsverhältnisse wurde klar definiert. Zudem boten wir allen Mitarbeitern Unterstützung bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz an.
Das Ergebnis war sehr erfreulich: Alle widmeten sich mit voller Kraft der Erledigung ihrer verbleibenden Aufgaben. Keiner ließ sich oder andere hängen. Alle hatten den Ehrgeiz, bei ihrem Ausscheiden den verbleibenden Kollegen einen aufgeräumten Schreibtisch zu hinterlassen. Besonders eine Situation ist mir gut in Erinnerung geblieben. An ihrem letzten Tag blieb eine Mitarbeiterin des Rechnungswesens abends lange im Büro, obwohl sie am nächsten Tag frühmorgens in den Urlaub flog. Sie ging jedoch erst, als sie den Monatsabschluss fertiggestellt hatte.